KI-gestützte Datenanalyse und -substitution senkt Produkthaftungsrisiken
Die Vision: Ein intelligentes Assistenzsystem, das regulatorische Anforderungen proaktiv unterstützt – von der Beschaffung bis zur Auslieferung.
In Zeiten wachsender regulatorischer Anforderungen und komplexer globaler Lieferketten stehen Hersteller und Händler vor enormen Herausforderungen: Die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zur Produktsicherheit und Nachhaltigkeit – von der europäischen Chemikalienverordnung REACH über die Elektrostoffverordnung RoHS bis hin zu CO₂-Bilanzen und Ökodesign-Anforderungen – ist essenziell, um Haftungsrisiken, Produktionsausfälle und Imageverluste zu vermeiden.
Um diesem zunehmenden Druck zu begegnen, haben die tec4U-Solutions GmbH und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) die KI-basierte Applikation CoChecker entwickelt. So entstand eine intelligente Erweiterung der etablierten Material-Compliance-Plattform DataCross von tec4U-Solutions. Ziel: Informationslücken automatisiert zu schließen und damit die Produkthaftung auf ein Minimum zu reduzieren.
Datenlücken schließen
In der Praxis scheitert die vollständige Erfüllung regulatorischer Anforderungen häufig an fehlenden oder unvollständigen Lieferantendaten. Selbst fest etablierte Systeme wie DataCross, die auf strukturierte Lieferantenkommunikation und Produkterklärung setzen, stoßen an ihre Grenzen, wenn Auskünfte fehlen. Solche Lücken gelten als Risikofaktor ersten Ranges – rechtlich wie wirtschaftlich. Eine Möglichkeit, sie zu schließen, ist die Durchführung einer Risikobewertung mit anschließender chemischer Analyse des Produktes – ein zeit- und kostenintensives Verfahren. Insbesondere Branchen mit hoher Variantenvielfalt und dynamischer Lieferantenstruktur – wie die Elektrik- und Elektronikindustrie – stehen vor der Herausforderung, Compliance-Aussagen in einem ständig wechselnden Umfeld aktuell zu halten. Eine manuelle Nachverfolgung ist zeitaufwändig, fehleranfällig und wirtschaftlich nicht skalierbar. In Branchen wie dem Maschinen- oder Anlagenbau liegen viele werkstoffbezogene Informationen als Altdaten, z.B. in Stücklisten oder Zeichnungen vor – jedoch oft unstrukturiert und nicht standardisiert. Aufgrund langer Produktlebenszyklen ist die Menge dieser Dokumente enorm, ihre Datenqualität im Sinne einer digitalen Weiterverarbeitung jedoch häufig unzureichend.
KI ersetzt fehlende Angaben mit validierten Wahrscheinlichkeitswerten
Hier setzt der CoChecker an. Das KI-gestützte Zusatzmodul greift ein, sobald eine Lieferantenauskunft in DataCross fehlt oder unvollständig bleibt. Mittels strukturierter Datenanalyse, Wahrscheinlichkeitsmodellen und semantischer Suche in eigenen wie externen Datenquellen ermittelt der CoChecker automatisch valide Ersatzinformationen. Entwickelt werden die Verfahren von einem DFKI-Projektteam unter der Leitung von Dr. Jan Alexandersson.
„Der technologische Kern unseres Ansatzes ist eine Kombination aus datenbankbasierter Ähnlichkeitssuche, probabilistischer Bewertung und Web-Crawling. Dabei wollen wir über den Proof-of-Concept hinausgehen und eine marktreife sowie produktive Lösung entwickeln. Ziel ist es, CoChecker zu einer Software-as-a-Service (SaaS) auszubauen – inklusive der dafür notwendigen Prinzipien: Skalierbarkeit und Abrechenbarkeit nach Datenkontingent.“
CoChecker versucht zunächst, ein Bauteil in der DataCross-Datenbank zu identifizieren. Liegen keine Informationen dazu vor, greift das System auf alternative Produkte mit hoher Attributähnlichkeit zurück. Auf dieser Basis berechnet es einen Wahrscheinlichkeitswert für die Vergleichbarkeit. So lassen sich bestehende Produktdatenlücken gezielt schließen – und Hersteller oder Händler erhalten eine nachvollziehbare, reproduzierbare Einschätzung zur Verordnungskonformität ihres Produkts. Eine weitere Möglichkeit, Datenlücken zu minimieren, ist die Erschließung zwar digitalisierter, aber unstrukturierter und heterogener Datenquellen. Dafür werden spezielle Verfahren der Informationsextraktion entwickelt, damit auch aus analogen Quellen wie technischen Zeichnungen, Datenblättern und Berichten Informationen extrahiert werden können.
Der CoChecker wurde bereits mit praxisnahen Beispielen aus der Elektronikindustrie und dem Maschinenbau erfolgreich getestet und validiert. Ziel der Entwickler ist ein durchgängiger Prozess, der am Ende verlässliche Aussagen zur Konformität eines Produkts ermöglichen wird.
Beispiel Elektronikindustrie
Ein Hersteller benötigt die Erklärung der RoHS-Konformität seines Produkts über alle Bauteile hinweg. Für einige Widerstände fehlen Lieferantendaten. Der CoChecker verarbeitet Artikeldaten wie Nummer, Name, Lieferant oder Hersteller sowie technische Angaben wie Widerstandswert, Toleranz, Nennbelastbarkeit, Temperaturkoeffizient und liefert automatisiert die Aussage: „Keine RoHS-reglementierten Substanzen mit 98,2 % Wahrscheinlichkeit“.
Beispiel Maschinenbau
Wird in einem Artikelbenennungsfeld einer Produktionsanlage die Bezeichnung „Halter Stahl C 44“ erkannt, interpretiert der CoChecker mit 99,4-prozentiger Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen Stahl der Klassifikation 440 C handelt. Diese Information wird anschließend an die DataCross-Applikation übermittelt, die daraufhin eine vollständige stoffliche Deklaration des Materials ermöglichen kann.
Erfolg durch KI-Partnerschaft: DFKI x tec4U
Die Entwicklung des CoCheckers ist ein Beispiel für die gelungene Symbiose aus industrieller Praxisnähe und KI-Forschungskompetenz. Während tec4U langjährige Expertise im Bereich Material-Compliance und Produktdatenmanagement einbringt, verantwortet das DFKI die Entwicklung der semantischen Analyse- und Relevanzbewertungsverfahren.
„Der intelligente Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der eigenen Produktentwicklung hat für tec4U-Solutions eine große strategische und wirtschaftliche Relevanz. Wir haben das Projekt über anderthalb Jahre aus eigenen Mitteln finanziert – auch, um zu zeigen, dass eigeninitiativ betriebene Forschung für mittelständische Unternehmen ein tragfähiger und wirtschaftlich sinnvoller Weg sein kann.“
Der Nutzen für Anwender aus der Elektronik- und Maschinenbaubranche ist klar: Automatisierte Datensubstitution verringert die Abhängigkeit von Lieferanten, reduziert den Analyseaufwand und erhöht die Rechtssicherheit in der Produkthaftung.DFKI-CEO Antonio Krüger betont den erfolgreichen Transfer aus der Forschung in die Praxis:
„Das Projekt CoChecker zeigt, wie sich Verfahren der Künstlichen Intelligenz, Data Science und Informationsverarbeitung mit überschaubarem Aufwand, angemessenen finanziellen Mitteln und in vergleichsweise kurzer Zeit in bestehende Softwarelösungen integrieren lassen. Dies ermöglicht nicht nur eine deutliche Effizienzsteigerung in der Datenverarbeitung und Entscheidungsunterstützung, sondern eröffnet dem Unternehmen auch neue Geschäftspotenziale durch die Entwicklung intelligenter Produkte und Services.“
Zukunftsperspektive KI: Intelligente Nachhaltigkeits- und Compliance-AssistenzDie KI-Applikation CoChecker wird kontinuierlich weiterentwickelt. Geplant ist u. a. die Recherche marktüblicher Preise für bestimmte Produktgruppen (z. B. Normteile) sowie die automatische Auswertung kompletter Dokumente auf relevante Nachhaltigkeitsinformationen. Damit könnten künftig auch CO₂-Fußabdrücke, Recyclingquoten oder REACH-bezogene Inhaltsstoffe direkt aus Produktunterlagen extrahiert und digital weiterverarbeitet werden. Die Vision: Ein intelligentes Assistenzsystem, das regulatorische Anforderungen proaktiv unterstützt – von der Beschaffung bis zur Auslieferung.
Kontakt:
Kognitive Assistenzsysteme, DFKI Saarbrücken
Jan.Alexandersson@dfki.de
Tel.: +49 681 85775 5347
Pressekontakt:
Communications & Media, DFKI Saarbrücken
Heike.Leonhard@dfki.de
Tel.: +49 681 85775 5390
Weitere Informationen:
CoChecker: Datensubstitution durch künstliche Intelligenz Mit DataCross bietet tec4U-Solutions eine Kommunikationsplattform an, welche die notwendige Lieferantenkommunikation bestmöglich unterstützt. Gleichwohl gibt es immer wieder Lieferanten, die bestimmte Daten nicht liefern wollen oder können oder aber auch Lieferantenketten, welche diese Anfragestruktur nicht nachhalten können. In solchen Fällen bietet die DataCross-Erweiterungsapplikation „CoChecker“ Abhilfe.