Im Finale: Saarbrücker Studenten sichern mit Künstlicher Intelligenz die Montage von Flugzeugen ab
Als einziges deutsches Team zählen sie zu den sieben Finalisten, die Airbus ausgewählt hat, „die Zukunft der Luftfahrt zu gestalten“: Drei Nachwuchsforscher der Universität des Saarlandes wollen die Flugzeugproduktion sicherer und leichter machen. Sie haben ein System entwickelt, das mit künstlicher Intelligenz während der Montage sicherstellt, dass die Nieten, also Metallstifte, die Flugzeug-Bauteile verbinden, absolut sicher sitzen. Mit ihrer Idee setzten sie sich gegen 269 Teams von 284 Unis aus 72 Ländern durch. Heute findet in Toulouse die Endrunde statt. Mit dem Wettbewerb „Fly Your Ideas“ hatte Airbus mit der UNESCO Studenten weltweit aufgerufen, Ideen für die Zukunft der Luft- und Raumfahrt zu entwickeln.
Hunderttausende, je nach Größe sogar bis zu mehrere Millionen kleiner Metallbolzen sorgen in Flugzeugen dafür, dass die einzelnen Bauteile zusammenhalten. Auch wenn jeder Niet für sich genommen nur ein paar Gramm auf die Waage bringt, kommt in Summe einiges an Gewicht und auch an Produktionskosten zusammen. Die Bauteile werden vorgebohrt, übereinandergelegt, ein Monteur platziert den Niet, der ähnlich einem Nagel an einem Ende einen dickeren Setzkopf hat. Ein zweiter Monteur hält auf der anderen Seite mit einem Amboss dagegen. Ein paar geübte Schläge mit dem Niethammer – und am Amboss formt sich das überstehende Nietende „platt“ zu einem Schließkopf. Sitzt der Niet richtig, sind die Bauteile fest verbunden und halten stärksten Belastungen wie auch widrigsten Bedingungen stand.
Doch es können auch Fehler passieren: „Gerade an schwer zugänglichen Stellen kann es vorkommen, dass der Niet nicht den Toleranzvorgaben zum Beispiel von Breite und Höhe entspricht, etwa weil der Monteur den Amboss nicht im richtigen Winkel positioniert oder der Niethammer vom außenstehenden Monteur leicht abrutscht. Oder es kommt zu Absplitterungen im Niet aufgrund einer falschen Vorbehandlung“, erklärt Tobias Masiak. Er hat Mechatronik an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Friedberg studiert und forscht jetzt für seine Doktorarbeit am Lehrstuhl für Montagesysteme von Professor Rainer Müller und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema), das Müller leitet.
„Die Flugzeugbauer messen an sicherheitskritischen Stellen nach, ob die Niete im Toleranzbereich liegen und fest und richtig sitzen. Aber bei ihrer Vielzahl ist es heute schlicht unmöglich, alle zu prüfen“, sagt der Doktorand. Die Luftfahrtindustrie verfährt daher nach dem Motto „Viel hilft viel“: Sie gehen auf Nummer sicher und setzen mehr Niete als nötig wäre, was Fachleute treffend als Angstniete bezeichnen. „Diese sorgen nicht nur für höhere Kosten bei Material und Montage, sondern auch für mehr Gewicht, mehr Kerosinverbrauch und damit auch für höhere Umweltbelastung“, sagt Masiak.
Im Team mit den Informatik-Studenten Aditya Gulati und Daniel Gusenburger will er hier Abhilfe schaffen. Mit ihrem Projekt „AIQ-Inspect“ (kurz für: Artificial Intelligence Quality Inspection – Qualitätskontrolle mittels künstlicher Intelligenz) nehmen sie am Airbus-„Fly Your Ideas“-Wettbewerb teil. „Professor Müller arbeitet mit seiner Forschergruppe an Projekten, die zum Ziel haben, die Flugzeug-Monteure beim Vernieten zu unterstützen. Daraus ist die Idee entstanden, Daten des Nietprozesses zu sammeln und mit künstlicher Intelligenz ein System so anzulernen, dass es dem Monteur über eine Datenbrille jeweils sofort die Rückmeldung gibt, ob der Niet richtig sitzt oder nicht“, erläutert Masiak.
Dies würde eine Qualitätskontrolle für präzise Handarbeit direkt während der Montage, also – um im Bild zu bleiben – „on the fly“ ermöglichen. Für ihr System greifen die Nachwuchsforscher auf Forschungsarbeiten, das Robotersystem und die Sensorik am Zema und am Lehrstuhl zurück. Sie kombinieren drei Sensoren, die den Nietvorgang genau im Auge behalten: Ein Laser-Linien-Sensor überwacht Breite und Höhe des Niet-Schließkopfes mittels einer 3D-Punktewolke, ein Kraft-Momenten-Sensor misst die wirkenden Kräfte während des Nietprozesses und prüft, ob der Niet richtig platziert ist, und eine Kamera schießt zu gegebener Zeit ein Foto. Mit diesem Aufbau überwachten die Studenten den Nietprozess: An mit Löchern übersäten Metallplatten, die Flugzeug-Bauteilen von Material und Dicke entsprechen, hämmerten sie Hunderte Niete ein. Mit den so gewonnenen Daten brachten sie ihrem System mit Methoden des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz bei, während des Arbeitsprozesses sicher zu erkennen, ob der Niet sitzt oder nicht. Über eine Datenbrille gibt das System dem hämmernden Monteur Feedback: grün für „sitzt“, rot für den Fehlschlag. Und auch aus der Ferne kann dies online überprüft werden.
Damit schaffte es das Team der Saar-Uni zunächst mit 50 der am Wettbewerb teilnehmenden 270 Gruppen in Runde zwei. Experten wählten AIQ-Inspect dann für die Endrunde aus, dem außer dem Saar-Uni-Team zwei Teams aus Cambridge, und je eins von der britischen Universität Strathclyde, von der niederländischen Technische Universität Delft, der Technischen Universität Mailand und der argentinischen Nationalen Universität La Plata angehören. Die Gewinner haben die Chance, ihre Idee in der Luft- und Raumfahrtindustrie weiterzuentwickeln.
Weitere Informationen:
https://www.airbus.com/newsroom/press-releases/en/2019/04/airbus-selects-seven-finalist-teams-to-shape-the-future-of-aerospace.html
https://twitter.com/AiqInspectors
Fragen beantwortet:
Tobias Masiak
Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA)
Tel.: +49 68185787 – 581
E-Mail: t.masiak@zema.de
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