Design-Experiment zum kritischen Umgang mit Technik
Mikrofone und Kameras sind heute überall verbaut: in Smartphones, Laptops, sogar in Kühlschränken und Fernsehern. Viele Menschen sind inzwischen an diese ‚wahrnehmenden Geräte‘ gewöhnt. Dadurch werden sie nicht mehr als das gesehen, was sie eigentlich sind – allgegenwärtige Augen und Ohren. Ein Team aus Informatikerinnen und Informatikern der Universität des Saarlandes nutzt anthropomorphes Design, um diese alltäglich gewordene Sensorik kritisch zu hinterfragen. Mit ‚Eyecam‘ stellen sie nun den Prototypen einer dem menschlichen Auge nachempfundenen Webcam vor.
„Das Ziel unseres Projektes ist nicht, ein ‚besseres‘ Design für Kameras zu entwickeln, sondern eine Diskussion anzuregen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir tagtäglich von wahrnehmenden Geräten umgeben sind. Da stellt sich die Frage, was das mit uns macht“, sagt Marc Teyssier. Der gebürtige Franzose hat 2020 zum Thema anthropomorphes Design in Paris promoviert. Heute forscht er als Postdoc in der Forschungsgruppe ‚Human-Computer Interaction (HCI)‘ an der Universität des Saarlandes.
Die Gruppe am Saarland Informatics Campus hat eine Webcam entwickelt, die nicht nur aussieht wie ein menschliches Auge, sondern auch unbewusste Augenbewegungen wie blinzeln, oder das Hochziehen der Braue realitätsgetreu imitiert. „Die Forschung ist Teil einer ganzen Reihe von Arbeiten im Rahmen eines großen EU-geförderten Projektes, dem ERC Starting Grant ‚InteractiveSkin ‘. Hier untersuchen wir, wie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine verbessert werden kann. Dabei konzentrieren wir uns besonders auf Bedienelemente, die dem menschlichen Körper nachempfunden sind“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe, Informatik-Professor Jürgen Steimle, zum Kontext der Forschung.
„Mit ‚Eyecam‘ gehen wir der Frage nach, ob ein technisches Gerät, oder Artefakt, wie wir es in der Fachsprache nennen, seine Funktion im Design widerspiegeln sollte“, ergänzt die Informatikerin und Mitglied der HCI-Forschungsgruppe Marion Koelle, die zur sozialen Akzeptanz am Körper getragener Kameras promoviert hat. Die Entscheidung ein Auge nachzubilden, trafen die Forschenden aufgrund des metaphorischen Charakters. „Es gibt verschiedene Arten des Sehens, die alle ihre ganz eigenen Konnotationen haben, beispielsweise Beobachten, Erkennen, Betrachten, oder auch Spionieren. Auch kann eine als Auge designte Kamera durch Mimik nonverbale Signale senden, die eine Interaktionsebene eröffnen, die es in technischen Artefakten bisher nicht gab“, fügt Koelle zum Konzept hinter dem Projekt hinzu.
In ihrem Fachartikel nutzen die Forschenden die Fähigkeiten und Optik ihrer neuen Entwicklung, um verschiedene Facetten allgegenwärtiger Sensorik zu erkunden. Schon heute sind Webcams ein potenzielles Risiko für die Privatsphäre. Eyecam übertreibt diesen Aspekt und agiert als Beobachter, indem es das Auge öffnet und den Nutzer mit dem Blick verfolgt. Alternativ könnte die anthropomorphe Kamera zur Selbstreflexion genutzt werden, indem das künstliche Auge ermüdet und immer wieder zufällt, wenn der Nutzer bis spät in der Nacht vor dem Rechner sitzt. Oder es könnte die Rolle eines Haustieres einnehmen, das einfach da ist, sich ab und an umblickt und erfreut reagiert, wenn der Besitzer den Raum betritt.
„Unsere Anwendungsszenarien sind fiktiv und sollen dazu animieren darüber nachzudenken, wie wir heute, aber auch in Zukunft, mit Artefakten interagieren. Besonders ist, dass wir unsere erdachten Szenarien mithilfe eines physisch vorhandenen Prototyps erfahren und nachempfinden können“, sagt Marc Teyssier. Um möglichst viele Menschen mit ihren Denkanstößen zu erreichen, hat die Gruppe die Baupläne für ihre Entwicklung veröffentlicht.
Originalpublikation:
Die Originalpublikation unter dem Titel „Eyecam: Revealing Relations between Humans and Sensing Devices through an Anthropomorphic Webcam“ wurde von der weltweit größten Konferenz im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion akzeptiert. Im Mai wird sie auf der 32. „ACM Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI)“ in Yokohama (Japan) veröffentlicht, Neben Marc Teyssier und Marion Koelle waren Paul Strohmeier, Bruno Fruchard und Professor Jürgen Steimle, allesamt Universität des Saarlandes, an dem Projekt beteiligt.
Eine Preprint-PDF-Version des Papers ist zu finden unter:
Weitere Informationen:
https://hci.cs.uni-saarland.de/projects/eyecam/
https://marcteyssier.com/projects/eyecam/ (Videodemonstration)
https://erc.europa.eu/projects-figures/stories/tech-filled-tattoos-interact-surrounding-world
Fragen beantworten:
Prof. Dr. Jürgen Steimle:
Email: steimle@cs.uni-saarland.de
Tel.: +49 681 302 71080
Dr. Marc Teyssier (auf Englisch):
Email: teyssier@cs.uni-saarland.de
Tel.: +49 681 302 71084
Dr. Marion Koelle:
Email: koelle@cs.uni-saarland.de
Tel.: +49 681 302 71931
Hintergrund Saarland Informatics Campus:
800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und rund 2100 Studierende aus mehr als 80 Nationen machen den Saarland Informatics Campus (SIC) zu einem der führenden Standorte für Informatik in Deutschland und Europa. Fünf weltweit angesehene Forschungsinstitute, nämlich das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Max-Planck-Institut für Informatik, das Max-Planck-Institut für Softwaresysteme, das Zentrum für Bioinformatik und das Cluster für „Multimodal Computing and Interaction“ sowie die Universität des Saarlandes mit drei vernetzten Fachbereichen und 21 Studiengänge decken das gesamte Themenspektrum der Informatik ab.
Redaktion:
Philipp Zapf-Schramm
Kompetenzzentrum Informatik Saarland
Saarland Informatics Campus
Telefon: +49 681 302-70741
Pressefotos zum Download zur honorarfreien Verwendung in Zusammenhang mit dieser Pressemitteilung:
Die Öffentlichkeitsarbeit am Saarland Informatics Campus wird unterstützt durch das Kompetenzzentrum Informatik Saarland, gefördert aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Mitteln der Staatskanzlei Saarland.